Politische Reise
Die Stärke und der Wille der jungen Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, beeindrucken mich.
04.02.2021
Du triffst dich immer Freitags mit Geflüchteten im Ludwig Forum. Kannst uns darüber etwas erzählen?
2015 starteten wir mit dem Projekt Ahoi2You. Viele, der in Aachen gerade angekommenen Flüchtlinge luden wir ein, mit uns in den Sommerferien in einem leerstehenden Ladenlokal (Kunstwechsel, Wilhelmstr. Leitung Prof. Dr. Wolfgang Becker) gemeinsam ein Schiff zu bauen. Schnell haben wir begriffen: Über künstlerische, handwerkliche und musikalische Aktionen kann man sich verständigen.
Die Ahoi-Gruppe habe ich mit meiner Tochter Ana Sous ins Leben gerufen. Mechthild und Martin Richter Hassel unterstützen uns von Anfang an, aber auch viele Musiker*innen, Künstler*innen, Familie und Freund*innen tragen zum Gelingen der Projekte und der Integration unserer neuen Freund*innen bei. Diese neuen Freundschaften bereichern unser Leben, machen uns neugierig und fordern uns heraus.
2015 realisierten wir mit unbegleiteten Flüchtlingen die 14 Banner der Barmherzigkeit für den Aachener Dom. 2016 führten wir in der alten Schreinerei im Ludwig Forum für Internationale Kunst eine Küche der Kulturen (Ahoi3) und bewirteten täglich bis zu 100 Gäste. Dafür erhielten wir den Integrationspreis der Stadt Aachen für Kunstprojekte. 2017 entstand das musikalische Theaterstück: Sack und Pack während des Projektes Ahoi4You. Im Space konnten wir drei Mal vor vollem Haus auftreten. 2019 stellte die Ahoi-Gruppe im Forum für Kunst und Kultur, Herzogenrath aus. 2020 entstand ein Käfer zum Tag des Denkmals: Drachenzähne in Farbe, Projekt des Rheinischen Vereins.
Seit 2019 beschäftigen wir uns mit dem Thema Reisen und haben gemeinsam in unserer Gruppe das Konzept des Reisebüros entwickelt. In Kooperation mit der Akademie für Handwerksdesign – Gut Rosenberg wurden Reiserouten realisiert, die in einem Camp enden, welches von unserem Ahoi-Team umgesetzt wurde.
Was bedeutet Reisen für einen Menschen, der seine Heimat aus lebensbedrohlichen Gründen verlassen musste? Was bedeutet Reisen für uns Europäer*innen? Seit 2015 trifft sich die Ahoi-Gruppe jeden Freitag. Im Ludwig Forum haben wir seit 2016/17 glücklicherweise eine Bleibe gefunden.
Dort können wir uns austauschen, zusammen malen, mit den Kleinen basteln und gemeinsam Tee trinken. Corona hat diese Treffen eingeschränkt, aber wir schauen optimistisch in die Zukunft.
Inwieweit sehen wir den Einfluss der Begegnungen in deiner eigenen künstlerischen Arbeit? Was bewegt dich?
Die Begegnungen mit Menschen aus aller Welt und ihre Geschichten beeinflussen auch meine eigene künstlerische Arbeit. So ist die Flucht zu einem meiner Themen geworden und findet sich in meinen Exponaten für die Ausstellung Bon Voyage! wieder.
2015 habe ich Jeanshosen, die auf der Flucht getragen wurden gegen neue getauscht. Mit den Fäden sticke ich Bildmotive, die das momentane Weltgeschehen widerspiegeln – gestickte Kommentare. Ein Stacheldraht, der aus einem Jeanshosentaschen-Fragment entspringt, ist in langwieriger Flechtarbeit entstanden. Fäden verschiedener Jeanshosen, getragen zwischen Teheran und Aachen, Damaskus und Aachen oder Asmara und Aachen tragen den Schmerz, das Leid, die Anstrengung und das Heimweh in sich, das bewegt und berührt mich. Die Stärke und der Wille der jungen Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben, beeindrucken mich.