Forschungsreise

Wichtig ist mir, diese bedingungslose, nachdrücklich unwissenschaftliche Wertschätzung des einzelnen Lebewesens und unserer Umwelt sichtbar zu machen.

19.12.2020

Nicole Schuck im Interview

Nimm uns mit auf eine Reise. Wie entstehen deine Zeichnungen? 

sich-einlassen

Im Zentrum meiner künstlerischen Auseinandersetzung stehen Wildtiere, natürliche und urbane Lebensräume, Fragen des Naturschutzes, Klimawandels und der Werteökonomie. Meine Arbeitsweise basiert auf dem Wechselspiel von Kunst und Wissenschaft, indem ich deren Schnittstellen und Überschneidungsflächen auslote und aus ihren unterschiedlichen Forschungs- und Erkenntnismöglichkeiten schöpfe. 

© Nicole Schuck, Foto: Beat Brodle

Die Grundlage meiner Zeichnungen und Erzählspaziergänge ist eine ausführliche Feldforschung: Ich trage vielfältigste Informationen zum jeweiligen Lebensraum von Tier und Mensch zusammen, durch Archivrecherche, Gespräche, Ortsbegehungen und Kooperationen mit Spezialisten wie Biolog*innen, Zoolog*innen, Naturschützer*innen, Philosoph*innen und Einheimischen. Diese wichtigen Bestandteile meiner Arbeit lassen ein erweitertes Verständnis für die Fauna und den gemeinsamen Lebensraum entstehen. In meinen Zeichnungen und Installationen transformieren jene zu eigenen Formen, aus denen wiederum neue Erfahrungsebenen erwachsen. 

Indem ich mich primär mit Bleistiften und ihrer ganzen Palette von Grauwerten einem Tier und seinen Strukturen und Beziehungen nähere – oft über mehrere Wochen und Monate hinweg –, entstehen profunde Beziehungen und Kenntnisse, was wiederum zu einer großen Wertschätzung des Wildtieres als Individuum/Subjekt und für den gemeinsamen Lebensraum führt. Die Zeichnung spürt ihnen nach, geht individuell auf sie ein und hat keine systematischen Voraussetzungen – außer dem linear-prozessualen Sich-Einlassen auf jedes einzelne Tier und seine Bezüge. Wichtig ist mir hier, diese bedingungslose, nachdrücklich unwissenschaftliche Wertschätzung des einzelnen Lebewesens und unserer Umwelt sichtbar zu machen. Die Zeichnung erlaubt es damit, das an sich nicht Sichtbare zur Darstellung zu bringen. 

© Nicole Schuck, Detailfoto: Lutz Bertram

Wie bereitest du dich auf einen Erzählspaziergang vor?

lesen, begehen und hinhören

In visuell und verbal wachsenden Assoziationsräumen gehe ich der Frage von individueller Verortung nach. Hierfür recherchiere ich, wie für die Zeichnungen, die verschiedenen Regionen, um Wirklichkeiten aufzuzeichnen, in denen sich dokumentarische und imaginierte Bilder und Geschichten überlagern, vermischen oder gleichwertig nebeneinander stehen.

Spaziergänge und Gespräche beispielsweise mit Tier- und Naturspezialist*innen und Einheimischen, oft über mehrere Wochen, vertiefen meine Einblicke in das Leben eines bestimmten Gebietes. Die gesammelten Vor-Ort-Beobachtungen und das Involvieren der Spezialisten und Tiere mit ihren Erzählungen kombiniere ich in den Erzählspaziergängen mit Imaginiertem zu einem lebendigen Porträt der Gegend. 

© Nicole Schuck, Foto: Lutz Bertram

Was ist dein Lieblingstier?

verbundenheit

Auf der Erde leben (noch) so unglaublich vielfältige und faszinierende Tiere, ein spezielles herauszupicken fällt mir sehr schwer. Die Tiere, mit denen ich mich jeweils am intensivsten befasse, sind mir oft am nächsten. Derzeit haben die Europäischen Hummer und Europäischen Austern meine volle Bewunderung und Wertschätzung. Vor meinem Projekt „Geschätzte Meerestiere“ hätte ich nie gedacht wie aufregend diese Tiere sind. Als ich vor längerem mit meinem Pferd täglich mehrere Stunden verbachte, und über viele Jahre Pferde und Reiter*innen trainierte, war dieses Tier jedoch mein Lieblingstier.

Biografie

  • * 1967 in Herford/Westfalen
  • 1990–1996 Studium der Visuellen Kommunikation/Grafik-Design mit dem Schwerpunkt Zeichnung an der Fachhochschule Bielefeld
  • 1999–2002 Studium der Kunstgeschichte/Kunstwissenschaft/Ästhetik/Philosophie an der Hochschule der Künste Berlin
  • 1997–2003 Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, 2003–2004 Meisterschülerin
  • 2017 Artist in Residence, Expedition Wissenschaft und Kunst am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK), Delmenhorst
  • lebt und arbeitet in Berlin