Politische Reise

Während Grenzzäune eine Form von subjektiver, offensichtlicher Gewalt sind, sind die Passkontrollen an den EU Grenzen eine Äußerung von einer objektiven und systematischen Gewalt.

11.03.2021

Dani Ploeger im Interview

Hast du auch schöne Reiseerinnerungen, wenn du in Grenzgebieten unterwegs bist?

Ja, immer wieder. Im letzten Oktober begegnete ich freundlichen Bisons im Urwald an der polnisch-weißrussischen Grenze. Ich machte dort einen klandestinen Fußweg quer durch den Wald zum geografischen Mittelpunkt, der von einem Mathematiker für meine Arbeit A New Middle of Nowhere ausgerechnet wurde. Zum Glück lernte ich erst nach der Reise, dass Bisons nicht immer so scheu sind und in der Region auch regelmäßig Menschen angreifen.

2019, nachdem ich die Arbeit OUR VALUES – die jetzt in der Ausstellung aufgebaut ist – am ungarischen Grenzzaun in Serbien installierte, kam ein netter junger Mann aus der Ferne auf mich zugelaufen. Es stellte sich heraus, dass er Tunesier war und vorhatte, den Grenzzaun in seinen Sommerklamotten und ohne Werkzeug zu durchqueren. Er war damit einverstanden, besser erst zusammen etwas essen zu gehen in der naheliegenden Stadt. Dort hat er sich dann in Ruhe einen sichereren und besser vorbereiteten Weg überlegt.

Begegnung an der EU Außengrenze bei Subotica, Serbien, 2019

Was ist das für ein Gefühl, Grenzen passieren zu dürfen, an denen andere scheitern?

Die Barrieren, die oft an Grenzstrecken abseits der offiziellen Übergänge errichtet sind, werden von Menschen mit privilegierten Dokumenten – wie ich sie habe – während Reisen kaum wahrgenommen und ihnen wird nie physisch begegnet. Nachdem ich angefangen habe mich intensiver mit dieser Thematik zu beschäftigen, erfahre ich die scheinbar sauberen und friedlichen Grenzposten, die ich passiere, immer öfter einfach als eine andere Seite der gleichen Geschichte. Betrachtet aus der Perspektive von Slavoj Zizek’s Reflektionen über Gewalt könnte man sagen, dass die physische Gewaltdimension der Zäune eine Form von subjektiver, offensichtlicher Gewalt ist, während die scheinbare Sauberkeit und Friedlichkeit der Passkontrolle für EU-Bürger*innen eine Äußerung von einer objektiven, systematischen Gewalt ist. Subjektive und objektive Gewalt stehen in einer dialektischen Verbindung, das eine funktioniert mit dem – und wegen des – anderen.

Ungarischer Grenzzaun (Dani Ploeger – European Studies #1, 2018. C-type print, 6x6cm)

Du reist ausschließlich mit dem Zug. Wie kommt es dazu?

Ich arbeite ab und zu auch im Nahen Osten und Afrika und dann reise ich mit dem Flugzeug, aber innerhalb Europa fahre ich fast ausschließlich mit dem Zug. Für mich ist die Erfahrung der Reise an sich wichtig, besonders im Sinne der sich wandelnden Landschaft, die Architektur und die Interaktionen mit Menschen, auch die scheinbar unwichtigen wie mit der Mitarbeiterin im Zugrestaurant oder einem Passanten an einem Umsteigebahnhof.

Das Problem an Flugreisen ist für mich nicht nur, dass sie schmutzig sind, sondern auch – wortwörtlich – flüchtig. Heutzutage wird das Fliegen als Erfahrung immer mehr wie ein notwendiger Schritt gestaltet, um das Reiseziel zu erreichen, der so schnell möglich erledigt werden sollte und am liebsten gar nicht bewusst erlebt werden sollte. In dem Sinne ist Fliegen meines Erachtens eine Form von ‘trash time’ geworden, in Anlehnung an Architekt Rem Koolhaas’ Begriff ‘junk space’. Wo Koolhaas eine Gestaltung von öffentlichen Räumen beschreibt, die nur auf eine Steigerung des Konsums abzielt statt eine wertvolle Erfahrung an sich zu ermöglichen, sehe ich in der heutigen Gestaltung der Flugreisen eine Methode, eine Art Nicht-Zeit zu schaffen, wobei für die Reisenden die Illusion entsteht, dass die Welt ein großes, urbanes Unterhaltungsspektakel ohne Gebiete der Transition und sozio-kulturellen Entfernung ist.

Umstieg am Bahnhof Brüssel Nord, 2018

Nimm uns mit auf deine nächste Reise. Was sehen wir?

Auf einer enormen Sandfläche fährt ein einsamer Bulldozer. Der Fahrer wurde beauftragt, in dieser Wüste mittels GPS-Navigation innerhalb eines Quadrats von 100 x 100 Metern alles auszuradieren und flach zu machen. Eine Drohne dokumentiert den Bulldozer aus der Luft, während ich ihn von der Seite filme.

Nächsten Monat werde ich eine neue Arbeit für den Kuwait Pavillon der Architekturbiennale in Venedig herstellen, anlässlich des 30. Jahrestags des Golfkrieges. Der Krieg wurde wegen der prominenten Rolle von Satellitennavigation bekannt als ‘The First Space War’. Allerdings gab es gleichzeitig beunruhigende low-tech-Elemente des Krieges, die größtenteils außerhalb der Medienaufmerksamkeit blieben. Mittels Bulldozern der US-Armee wurde an der Front eine unbekannte Anzahl von wehrpflichtigen, irakischen Soldaten lebendig begraben. Für mein Space War Monument werden mittels eines GPS-Bulldozers – eine Symbiose von zwei prominenten Golfkrieg-Technologien – verbleibende Spuren des Krieges in der Arabischen Wüste ausradiert als Denkmal für die verschwundenen Menschen im Sand.

In den 1990er-Jahren behauptete Jean Baudrillard, dass der Golfkrieg nicht wirklich stattgefunden habe, weil die allermeisten Menschen nur Repräsentationen der Gewalt in den Medien gesehen hatten, bei denen nicht mehr klar war, ob diese in Bezug zum wirklichen Kriegsgeschehen standen oder nur noch Simulationen waren. Genauso wird auch bei meiner Arbeit ungeklärt bleiben, wo sich die Sandfläche, zu der ich hingereist bin, genau befindet und in welcher Form die Arbeit existiert.

Überreste des ‘Saddam Road’ in der Arabischen Wüste, 29°46'11.5"N 47°26'53.6"E